“Es bringt uns alle um! Es bringt uns alle um!”

Schon wieder deutsche Medientheorie, oder: 13 Gründe, warum das Fernsehen böse ist

In Classless’ Rechercheberg stieß ich auf Gerhard Wisnewskis Die Fernsehdiktatur – Kippen Medienzaren die Demokratie? (München: Knesebeck 1995). Recht fassungslos stellte ich fest, wie sehr auf dieses Buch der Witz über die Reaktion von Deutschen auf eine neue Technologie passt: weglaufen und schreien “Es bringt uns alle um! Es bringt uns alle um!”. Wisnewski gibt sich alle Mühe, das Fernsehen als etwas darzustellen, das über die unschuldigen, differenziert denkenden und eigentlich gegen die Anziehungskraft demagogischer Führerpersönlichkeiten immunen Bürger hereinbricht und sie zu leicht zu beherrschenden Geistekranken macht. Was sie vor dem Hereinbruch des Fernsehens natürlich noch nicht waren.

Die “kognitive Konkurrenz zwischen Text und Bild” bewirke eine “ganz eigene Demagogie der Bilder”, die den “anspruchsvolleren Inhalten” die Schau stehlen würde. Die Informationen “dringen” laut Wisnewski in die Fernsehschauer ungehindert “ein”, weil die Bilder sich so schnell bewegen, dass man ihnen “geistig hinterher rennen” müsse, wodurch die Möglichkeiten des Kontaktabbruchs und der kritischen Reflexion nicht mehr gegeben seien. Bei den “mündigen Bürgern” würden “wichtige intellektuelle Funktionen zusammenbrechen”. Fernsehen ist etwas anderes als das Nichtfernsehen, aber Wisnewski verkraftet das nicht bzw. das Fernsehen ist hinter ihm her:

Die intellektuelle Aufnahmefähigkeit scheitert an der desintegrierten Bild- und Tonflut. Für unsere Sinne ist es ein absurdes Geschehen, wenn Bild- und Tonebene auseinandergerissen werden und unabhängig voneinander auftreten können.
[…]
Eine derartige Entkoppelung von Geschehenszusammenhängen hat es in der Geschichte der Wahrnehmung noch nie gegeben. Informationen drohen im Bermudadreieck zwischen Bild und Text unterzugehen, ein Umstand, der das Fernsehen als “Leitmedium” einer demokratischen Gesellschaft disqualifiziert, um so mehr aber als suggestives Propagandamedium empfiehlt.

Das Fernsehen repräsentiere mit seine “intensivierten und aufgeputschten Bildern” nichts als eine “gesellschaftliche Wahrnehmungsstörung”. Illustriert wird das ganze am Beispiel der Sendung ZAK, und hier lässt Wisnewski seinem Hass auf die Moderne freien Lauf: ZAK sei eine “optische und akustische Vergewaltigung”, die Rede von einer “avantgardistischen Schnitttechnik” die die Beiträge zu “optischen Feuerwerken” mache wird bei ihm zu Denunziation, die “audiovisuellen Pyrotechniker” an Schnitt und Tricktechnik, die seiner Meinung nach dort im Schneideraum “die Macht übernommen” haben müssen in diesem Bezugsrahmen schon fast Schwerverbrecher sein. Er zitiert die Frankfurter Rundschau:

Bei ZAK wird das Wochengeschehen nicht bloß eingefangen, sondern “zerstückelt, seziert, gedreht, gewendet, gedrescht, geflegelt und schließlich neu zusammengepuzzelt”, beobachtet die Frankfurter Rundschau. Im besten Falle entstehe dabei eine Fiktion, die der Wirklichkeit näher komme als diese sich selber. Vielen Dank. Schon eher klingt das nach einer besonders massiven Form der Entkoppelung von Wahrnehmungszusammenhängen an der Grenze zum Spaltungsirresein.

Denn Wisnewski erkennt ja die Wirklichkeit, wenn er sie sieht, und A = A ist auch keine Tautologie, sondern ein Grundsatz der Darstellung, an den sich das Fernsehen zu halten hat; möglicherweise ungewohnte Blickwinkel sind ein Anzeichen für Schizophrenie. “Optische Lust” und “Augenkitzel” dürfen nicht zum “drogenartigen Selbstzweck” verkommen und nicht “inhaltsleere Verpackung” bleiben. No Fun!

Wisnewskis eigentliche Liebe gehört den gedruckten Informationen, und er kann dem Fernsehen einfach nicht verzeihen, keine Zeitung zu sein, ja, das Fernsehen hat es anscheinend ganz hinterhältig genau auf seine Lieblingsbuchstaben abgesehen:

Der Angriff des Fernsehens auf die gedruckte Information ist allumfassend.

Und:

Nur ein Bruchteil dessen, was sich mit gedruckten Worten in einer Zeitung schildern läßt, läßt sich auch in einem Fernsehbeitrag darstellen.

Die Erkenntnis, dass sich der Satz auch umdrehen lässt und eben nichts weiter sagt als: “Das Fernsehen ist keine Zeitung, die Zeitung kein Fernsehen” wäre von einem wie Wisnewski wohl auch wirklich zu viel verlangt. In diesem ganzen plumpen Glauben an die unschuldigen Bürger und der abstraktions- und logikfeindlichen Darstellung, die noch nichteinmal versucht, sich von ihrem Gegenstand überhaupt einen Begriff zu machen, und immer wieder gerade die modernen Züge ihres Gegenstandes pathologisiert, wagt sich Wisnewski noch an einige tiefschürfende Bemerkungen über das Fernsehen, das Intellektuelle und den Faschismus:

Die Eliminierung und Verstümmelung von Informationen gehört als konstituierendes Merkmal zu Faschismus und Totalitarismus, ohne das sich bestimmte Verbrechen und die Unterdrückung von Völkern ganz einfach nicht verwirklichen lassen. Im übertragenen Sinne findet die Bücherverbrennung heute auf dem Bildschirm statt

Wenn der Faschismus die Unterdrückung von (natürlich eigentlich guten) “Völkern” ist, Avantgarde böse und Wirklichkeit eindeutig, dann ist Fernsehen sozusagen Faschismus aus der Dose.

Und weill es so schön war zum Schluss nochmal die handliche Liste zum auswendig lernen, warum “das Fernsehen als demokratisches “Leitmedium” völlig ungeeignet” sei:

Weil

  1. es die freie Wahl behindert, ob man es sehen will oder nicht
  2. es süchtig macht
  3. es den Bewußtseinszustand verändert
  4. es diffuse psychische, nervöse und körperliche Wirkungen entfaltet
  5. es nicht in der Lage ist, wichtige Inhalte adäquat zu transportieren
  6. es wichtige Inhalte ignoriert, weil das technische Material (Bilder, Töne, Interviews) fehlt
  7. es statt wichtiger Inhalte Machtsymbolik transportiert
  8. es damit eine schwerwiegende Informationskrise beim Publikum auslöst
  9. es die Bürger kontrollierbar macht
  10. es einen Wechsel erschwert
  11. es dadurch ein Mittel zur Herrschaftssicherung geworden ist
  12. es einfache Antworten und Lösungen besser transportiert als komplizierte
  13. es singuläre, charismatische Führerpersönlichkeiten besser transportiert als Argumente

Übersetzt:

  1. Ich finde den Knopf nicht!
  2. Oh diese bösen geilen Bilder machen mich ganz wuschig.
  3. Fernsehen ist anders als nicht fernsehen!
  4. Ich weiß auch nicht so genau, was es tut, aber irgendwas wird sich schon finden.
  5. Es präsentiert nicht genau meine Meinung.
  6. Es hat eigene Spielregeln.
  7. Statt meine diffenrenzierten Analysen sind immer nur die großen coolen Typen im Fernsehen
  8. Ohne Fernsehen würden viel mehr Menschen auf mich hören!
  9. Die Menschen können doch von alleine nicht so blöd sein.
  10. Es sind die Falschen an der Macht, und das Fernsehen ist daran schuld, dass sie da bleiben.
  11. Oh Gott, das Fernsehen stellt sich in den Dienst von Herrschaft. Meine Lieblingszeitung würde sowas niemals tun.
  12. Das Fernsehen ist ein populäres Medium.
  13. Siehe Punkt sieben.

Elf Jahre nach Erscheinen des Buches ist das vielleicht ein wenig nachgetreten, aber ich würde behaupten, dass auch heutige ‘Internetkritik’ teilweise sehr ähnlich funktioniert, und ich war wirklich beeindruckt von der ständig pathologisierenden antimodernen Stoßrichtung des ganzen Buches, das implizit ein sehr gefährliches Bild der natürlich eigentlich ‘guten’ ‘schlauen’ Menschen und ‘natürlicher’ Wahrnehmung zeichnet. Das böse kommt immer von draußen und muss den Menschen aufgenötigt werden. Diese Elemente sind eben nach wie vor in Deutschland hochgradig anschlussfähig. Und was die Sprache angeht wäre eine Analyse Wisnewskis in der Richtung von Theweleits Männerphantasien wahrscheinlich recht aufschlussreich.

9 Responses to ““Es bringt uns alle um! Es bringt uns alle um!””

  1. classless Kulla » Blog Archive » “Faschismus aus der Dose” Says:

    […] Wirklich großes Kino übers Fernsehen: scrupeda nimmt sich der, nun ja, Medienkritik des Konspirationisten Gerhard Wisnewski an. […]

  2. Dirk Says:

    Ich habe das Buch nicht gelesen und auch weis ich sonst nix groß über Gerhard Wisnewski, aber zu einigen der Zitate würde ich nicht so grundsätzlich verwerfend Stellung beziehen.

    Natürlich ist es nicht sinnvoll ein Medium an sich zu verurteilen. Die Maschinenstürmer lassen grüßen. Was aber die Inhalte des Fernsehprogramms angeht, sind einige Aspekte der Zitate nicht nur die irrlichterne Erkenntnis eines Konspirationisten.

    Schließlich finde ich, dass durchaus eine differenziertere Kritik möglich wäre, auch wenn man jemanden wegen bestimmter Affinitäten nicht mag. Insofern enttäuscht mich dieser Artikel.

  3. Lars Strojny Says:

    Mein Liebling dazu ist ja das.

  4. Philip Says:

    Vor allem “ZAK”, eine Sendung, die ich gar nicht schnell genug würdigen konnte, denn sie war leider schon wieder aus dem Fernsehen verschwunden, bevor ich alt genug war, richtig zuzuschauen. Wenn Wisnewski sich schon an einem Beispiel des besseren öffentlich-rechtlichen Fernsehens so aufhängt, düfte er die vergangenen 11 Jahre nicht überlebt haben.

  5. scrupeda Says:

    @Dirk: Es ging mir nicht darum, zu beurteilen, wie ‘gut’ oder ‘schlecht’ das Medium Fernsehen oder seine Inhalte sind. Schließlich bin ich als jeher weitestgehend fernsehfrei lebender Mensch da auch völlig inkompetent. Ich habe nur anhand der schrecklichen Sprache versucht, einige Aspekte des Weltbildes herauszuarbeiten, vor deren Hintergrund Wisnewski seine Argumentation aufbaut.
    Anders ausgedrückt: Wenn man beim Lesen eines Buches fast den Eindruck vermittelt bekommt, die Deutschen seien bisher eigentlich gar keine Faschisten gewesen, sondern würden nur möglicherweise irgendwann durch das amerikanische Fernsehen dazu verführt werden, halte ich eine ‘inhaltliche’ bzw. ‘fachliche’ oder ‘differenziertere’ Auseinandersetzung mit eben diesem Buch für Zeitverschwendung. Ebenso wie bei einer Argumentation, die ohne sich auch nur einen Moment über ihre eigenen Vorraussetzungen und Begriffe klar zu werden, einen Haufen Indizien & persönliche Vorurteile auftürmt, und das dann mit einem Beweis verwechselt. Ich sehe keinen Grund, ein Buch, das zum größten Teil aus Ressentiment besteht, dermaßen ernst zu nehmen.

    Über den Wert oder Unwert des Fernsehens und seiner Inhalte ist damit überhaupt nichts gesagt. Nur darüber, wie eine sinnvolle Diskussion dieses Themas auf jeden Fall nicht aussehen kann.

  6. classless Says:

    Das Problem mit Wisnewskis, nun ja, “Hauptwerk” ist ja ähnlich gelagert.

  7. l f o Says:

    Friedrich Küppersbusch war der Held meiner Jugend. Von wegen Medien noch: Im Transcript-Verlag ist gerade ein Sammelband namens “Media Marx” über Annäherungen zwischen Medientheorie und Marx erschienen (Marxismus kann man das wohl nicht nennen). Der Rezensent der FR, Gottfried Oy, bemängelt, dass der Klassenkampf in den Beiträgen nicht vorkäme. Das Buch könnte also taugen!

  8. mischka Says:

    Ich sehe keinen Grund, ein Buch, das zum größten Teil aus Ressentiment besteht, überhaupt zu lesen.

  9. scrupeda Says:

    Seufzt. Manchmal kann ich es einfach nicht sein lassen. Manchmal muss ich unbedingt herausfinden, wie schlecht es genau ist…