Verkürzte Copyrightkritik

Jan Krömer/Evrim Sen, No Copy – Die Welt der digitalen Raubkopie

Schon ein Blick ins Inhaltsverzeichnis lässt durchschimmern, dass hier nicht wirklich weit gedacht wurde: Das erste Kapitel heißt ‘Die Geschichte der Schwarzkopie’, und fängt mit dem Stichpunkt ‘Die ersten Hacker’ an. Die Wurzeln des Urheberrechts, das sich schließlich seit seiner Entstehung immer wieder mit ‘der Schwarzkopie’ beschäftigt hat und beschäftigen musste – was wäre der Sinn eines Urheberrechts ohne die Gefahr der Schwarzkopie, die es abzuwenden gilt -, werden damit völlig ignoriert. Weder gibt es in diesem Universum Raubdrucke noch das eigenmächtige Bespielen von Kassetten, mitsamt der juristischen Regelungen, die durch letztere notwendig wurden. Wäre in die Kapitelüberschrift, wie in den Buchtitel, noch das kleine Wörtchen ‘digitale’ eingefügt worden, das ganze wäre zumindest weniger falsch. Wirklich besser würde das Buch davon nicht werden.

Dass mich das ganze szenige Getue um Hacker, Cracker und ‘Community’ im Tabloid-Stil nicht interessiert, kann ich nicht einem Buch zum Vorwurf machen, das im Klappentext damit beworben wird, ‘Hintergründe und Zusammenhänge einer weltumspannenden Szene’ aufzudecken und die Frage zu klären, wer die ‘Drahtzieher einer Gemeinschaft’ sind, ‘der bis heute weder Industrie noch Strafverfolger Einhalt gebieten’ konnten. Dennoch wundere ich mich über die so offensichtlichen SelbstVerherrlichungstendenzen der Autoren (‘IT-Berater’ bzw. ‘Software-Entwickler’), die sich eine unbesiegte, glorreiche ‘Gemeinschaft’ herbeiquatschen, sozusagen das kleine gallische Dorf, und dabei halb jeden eingemeinden, der schonmal einen Song illegal (oder zumindest nicht explizit legal) aus dem Netz gezogen hat.

Der Klappentext beginnt mit dem Zitat “Raubkopierer sind Verbrecher”, und stellt diese Aussage sofort in Zweifel, ohne zu merken, dass schon in der Übernahme der Terminologie eine Bestätigung genau dieser Aussage steckt. Konkret: Raub ist nunmal, mehr noch als bloßer Diebstahl, ein Verbrechen. (Wikipedia:

Raub ist nach deutschem Strafrecht die Wegnahme einer fremden beweglichen Sache durch Gewalt gegen eine Person oder unter Androhung einer gegenwärtigen Gefahr für Leib und Leben mit der Absicht, die Sache sich oder einem Dritten rechtswidrig zuzueignen)

Man kann darüber streiten, wann eine Kopie rechtmäßig ist oder nicht, aber wie auch immer dieser Streit ausgehen mag, der Begriff der Raubkopie impliziert, dass sie illegal ist. Insgesamt wird in diesem Buch schlampig mit Sprache umgegangen, so wenn es zum Beispiel zu Napster heißt:

Das Prinzip von Napster war so einfach wie genial.

und später über die Wikipedia:

Das Prinzip von Wikipedia ist ebenso simpel wie genial.

Wobei allein die Wendung “so einfach wie genial” mit all ihren Abkömmlingen eigentlich schon in den Papierkorb für ausgeleierte Formulierungen gehört.

Natürlich muss ein Produkt auch eine Nachfrage befriedigen, der Konsument muss das Gefühl haben, daß das Produkt einen Zweck erfüllt. Der emotionale Aspekt und das persönliche Empfinden sind jedoch ebenfalls wichtige Kaufentscheidungen. Menschen kaufen Dinge nicht aus reinem Nutzen heraus.
Bei Software hingegen sieht es anders aus. Es ist nicht die Marke, die eine Kaufentscheidung hervorruft. Hier steht die Funktionalität, also der Nutzen, im Vordergrund.

Natürlich. Der Wettbewerb im Bereich von Software hat nichts mit dem Ruf und Style der beteiligten Marken zu tun. Bill Gates ist so reich wie er ist weil Microsoft so überragende Software verkauft, dass jeder Preis auch im Angesicht von kostenlosen Open Source Erzeugnissen gerechtfertigt ist. Und der Aufstieg von Firefox hat auch nichts mit dem gegenüber seinem ‘Vorgänger’ Mozilla schickeren Logo und der begleitenden Kampagne zu tun.
Programmiererwunschdenken?
(Mir ist auch neu, dass ein ’emotionaler Aspekt’ bereits eine Kaufentscheidung ist…)

Ich habe es nicht geschafft viel mehr in dem Buch zu lesen. Zum Abschied noch einen Blick in den Anhang, in dem sich unter anderem ein Interview mit Lawrence Lessig findet. Man kann an Lessig alles mögliche aussetzen, aber blöd ist er nicht, und ein langweiliger Redner ebenso wenig. Er gibt sich auch redliche Mühe, aber die Fragen machen es ihm wirklich nicht leicht:

Im Internet gibt es viele große Communitys. Man denke nur an Linux oder die Open-Source-Verfechter. Glauben Sie wirklich, daß die Industrie all deren Ideen mit Hilfe des Copyrights unterdrücken möchte?

Erst Lessig eine platte Verschwörungstheorie in den Mund legen, die er nie vertreten hat, um ihn dann zu fragen, ob er das denn wirklich ernst meint.
I rest my case.

6 Responses to “Verkürzte Copyrightkritik”

  1. ZotR Says:

    im buch wird sogar auf gutenberg eingegangen (bissl später). erst lesen, dann mund aufmachen. diese kritik ist total hier nutzlos. setzen, 6!

  2. scrupeda Says:

    Das macht natürlich alles anders…

  3. scrupeda Says:

    Leute, die sich an Überschriften wie dieser nicht stören:

    “Wofür steht die RIAA: Geldgier oder Künstlerinteressen?”
    (http://www.gulli.com/news/wofuer-steht-die-riaa-geldgier-2006-04-06/)

    werden meinen Text nich mögen, schon klar.

  4. classless Says:

    Oh ja, ZotR (Zorro of the Rechtlosen?), dieses unglaublich tiefsinnige und komplexe Buch muß erst gründlich durchgearbeitet werden, da in ihm völlig überraschende und originelle Gedanken entwickelt werden. Andersrum ist es unwichtig, sich an dem Offensichtlichen zu stören, nämlich einem Buch, das sich aufs Anbiedernste an die vermeintliche “Szene” und ihre Fans heranschmeißt, einem Buch, dessen Titel so platt auf Verkaufserfolg getrimmt ist, daß ein ernsthaftes Interesse an der Kritik von Verwertung und Recht nicht vermutet werden kann.

  5. c l a s s Says:

    Habs gelesen, das Buch ist ganz gut. Finde die Rezension hier übrigens auch ziemlich platt.

    Die Autoren hatten das Buch mal zum Download angeboten, weiß jemand vielleicht wo? Ich hab das Buch, wollte aber auch mal ne Suchfunktion dafür haben.

  6. classless Says:

    Es wurde – zumindest laut Werbekampagne – einen Tag lang angeboten.

    Zitat no-copy.org:

    “DOWNLOAD-AKTION
    Am 6. April gab es das Buch NO COPY hier kostenlos zum Downloaden. Download-Aktion verpasst? Einfach in unseren >>Newsletter eintragen und weiterhin informiert bleiben.”