The Medium Is The Mess #4

Diesmal: Die Diktatur der Angepassten. Zur Testcard#15, vierter Teil

Hatte ich bisher einige der Artikel aus verschiedenen Gründen schlicht als belanglos beurteilt, stellt sich mir bei diesen beiden Texten die Frage, wie das mit der ‘linken Popkritik’ eigentlich überhaupt gemeint ist. Anders ausgedrückt: Was ist an diesen Texten ‘links’, und viel wichtiger: Was ist an ihnen ‘kritisch’? Auf jeden Fall ist das alles sehr pluralistisch:

Jürgen Hofbauer / Christoph Marek: Basics in Stereo – Wider eine Kultur des Vergessens

Wenn man sich für den Popdiskurs der FAZ und ähnlicher Presseorgane interessiert, ist dieser Text sicher ungemein spannend:

Weshalb die Autoren dieses Essays für einen popkanon plädieren, über Umwege für eine feine kleine Hierarchie, ebenso für eine Renaissance der großen Werke und Würfe und dabei auch noch die SZ-Diskothek nicht ganz unsympathisch finden, erfahren Sie jetzt…

Es wird mit Formulierungen wie diesen hantiert: “Wiederkehr des Kanons [ist] auch das Comeback der Hierarchie”, die Ekstase, die sich im “Diktat des Durchschnitts ohnehin schon längst verflüchtigt” habe, man schlägt sich mit der Frage “Was tun, was empfinden, wenn die SZ bereits auf dem Weg ist, uns einen väterlichen Kanon anzuempfehlen […]?” und zerlegt genüßlich den Mythos von der demokratischen Natur des Pop. Die Rechtfertigung des Kanons aus dem Vergnügen, das es bereitet, gegen ihn aufzubegehren, wirkt fadenscheinig. Wirklich interessiert hat der Text von Anfang an nicht, aber so langsam erscheint er mir im schlimmsten Fall als langweilig verpackte reaktionäre Scheisse (Hierarchien sind sowieso überall, also sollten wir sie auch gut finden, nach dem postfaschistischen und dem posttotalitären stünde doch noch das postdemokratische Zeitalter aus etc. ), im besten stellt sich die Frage, wie Menschen sich bloß so sehr langweilen können. Als ob die Gegenwart so dröge sei, dass man zum eigenen Amüsement unbedingt einen Kanon brauche, gegen den man anrennen kann, weil einem sonst nichts mehr einfällt.

Jörg-Uwe Nieland: Und der letzte macht das Licht aus! Vom Anspruch und Scheitern sozialdemokratischer Popkulturpolitik

Von der Thematik her nicht ganz so belanglos, ist das erstaunliche an dem Text vor allem, wie er es schafft, eben diesen Anspruch sozialdemokratischer Popkulturpolitik überhaupt ernst zu nehmen. So habe die versuchte “Annäherung zwischen Pop und Politik” während der Schröder-Jahre, “letztlich Enttäuschungen und Missverständnisse” hinterlassen. Ja tut einem das nicht im Herzen weh? Streckenweise liest es sich ein wenig wie Finanzberatersprech:

Durch die horizontale, vertikale, diagonale und konglomerate Konzentration erhöhen sich die Marktzutrittsbarrieren für neue Unternehmen und selbt für bestehende Unternehmen werden die Nischen enger. Arbeitsplatzverluste sowie die Homogenisierung von (musik-) journalistischen Arbeitsweisen sind bereits heute Realität.

Und wenn ich gelernt habe, nicht nur horizontal, vertikal und diagonal, sondern auch noch konglomerat zu lesen, sehe ich vielleicht auch den Neuigkeitswert dieser Feststellung. Immerhin kommt die Erkenntnis durch, dass die beschriebenen marktwirtschaftlichen Phänomene (Kapitalkonzentration, “wenn der intermediale Wettbewerb eingeschränkt ist, dann nimmt die Kontrolle durch die Kräfte des Marktes kontinuierlich ab” etc.) nicht nationalstaatlich bewältigt werden können, was genau natürlich die sozialdemokratische Medienpolitik versucht habe. Aber wir sind schon wieder bei der Finanzberatung für große: es sei versäumt worden die “in der Politikwissenschaft prominent diskutierten Governance-Modelle […] zu etablieren und somit eine Gegenmacht zu den transnationalen Konzernen aufzubauen”.

Schön ist wieder die Denunziation von VIVA als die “sozialdemokratische Antwort auf MTV” – nur ist sie wohl leider nicht als solche gemeint, wird doch schnell klar, dass die “Initiative für die bessere mediale Verbreitung von in Deutschland produzierter Rock- und Popmusik” hier höchstens wegen mangelnder Effizienz kritisiert und sich der Bundesregierung mit ihrem Wunsch nach “einem breiten Dialog angesichts der offenkundigen Nivellierungstendenzen in den Musikangeboten des Rundfunks” mit dem Ziel, dass

die Beschränkung auf eine (=englische) Sprache aufgebrochen wird und dass es zu einer stärkeren Präsenz von neuen [=deutschen] Interpreten in den Medien komme.

angeschlossen wird. Spätestestens hier sollte es dem werten Leser ein wenig schlecht werden. Es verwundert nun auch nicht mehr, dass der Vorschlag der Deutschquote verworfen wird, weil er halt nicht “trägt”. Zu guter letzt wird noch davor gewarnt, dass wir uns mit großen Schritten auf die “Diktatur der Angepassten” (Blumfeld) zubewegen würden, wenn Popkultur den Anspruch verliere, links zu sein (und die sozialdemokratische Popkulturpolitik daran eine Mitschuld habe).

Dabei gehört der Text doch selbst schon längst dazu.

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