Privacy up your ass

Der 23c3 und ich

Da ich mit Bücherstand machen und Vorträge halten schon gut beschäftigt war, habe ich mir kaum Vorträge angeschaut, und wenig mit Menschen kommuniziert, die nicht von selbst an unseren Stand kamen. Auch Mitschnitte habe ich mir noch nicht angeschaut. Ich könnte mich also in (fast) allem irren. Anyway:

Tim Pritloves sachliche Entertainment Einlage zur Eröffnung habe ich sehr genossen. So sehr, dass ich mich über die merkwürdige Wendung vom (eigentlich großartig Misstrauen produzierenden) Congress-Motto “Who can you trust?” zu dem Statement, dass Vertrauen eine großartige Sache sei und wir mehr davon bräuchten, nicht genug gewundert habe. Erstaunt hat mich jedoch die Ankündigung, dass ein eigenes Filmteam anwesend sei um den Kongress (auch jenseits des eigentlichen Programms) zu dokumentieren, und man denen bei ihrer Arbeit doch behilflich sein solle. Noch mehr erstaunt hat mich, dass diese Ankündigung nicht mit Buhrufen quittiert wurde.

Bei John Perry Barlows Redebeitrag war es hingegen lange fragwürdig, ob es überhaupt eine Pointe geben würde. Die, die dann kam, überrascht mich immernoch: Ausgehend von seinen eigenen Probleme mit Identitätsdiebstahl/Kreditkartenbetrug und Emailspam forderte er die Anwesenden auf, ihre Mithacker besser zu überwachen, destruktives Verhalten nicht zu tolerieren, und sich dieser Probleme anzunehmen, die das Internet, so wie wir es kennen, bedrohten. Es lief darauf hinaus, dass die Hacker eine Art nicht-staatliche Internetpolizei bilden/sein sollten. WTF? Es gibt Leute, die dafür bezahlt werden, Sicherheitslücken zu schließen. Viele davon mögen auch Hacker sein – aber wenn es überhaupt eine sicherheitstechnische Funktion von Hackern gibt, dann eben die, diese bezahlten Sicherheitsfachleute durch das Aufspüren von Sicherheitslücken auf Trab zu halten. Anders ausgedrückt: Wenn jemand in Thailand auf Barlows Kreditkarte im Wert von 20 000 $ einkauft, ist das nicht ein Problem, das Hacker lösen sollten, sondern in dem Fall eben American Express.

Über Lawrence Lessigs Vortrag hörte ich nur gerüchteweise, dass er inzwischen dazu aufrufe, dass diejenigen, die im Gegensatz zu ihm das Urheberrecht nicht nur reformieren, sondern gänzlich abschaffen wollen, diese Differenzen zwecks Bekämpfung des gemeinsamen Feindes doch erstmal zurück stecken sollten. Darüber könne man später immernoch diskutieren. Wer’s glaubt.

Die Überschrift habe ich aber hauptsächlich wegen einer sehr unerfreulichen Episode gewählt, bei der ich gerade noch unsicher bin, wie ich reagieren soll: Zwischendurch filmte ein Kamerateam ein Interview schräg vor unserem Stand. Wir hatten den Eindruck, im Hintergrund auch im Bild zu sein, und protestierten. Sie behaupteten, sie würden uns gar nicht Filmen, und das sei mit der Congress-Orga abgesprochen. Classless betonte, dass wir auf jeden Fall darauf bestehen, gefragt zu werden bevor wir gefilmt werden, und sie waren damit einverstanden. Eigentlich ist das eine Selbstverständlichkeit, aber soweit keine wirklich überraschende Vorgehensweise von seiten der ARD.

Nur, ich bin drauf. Hier (.mp4) könn’se konnten sie selber gucken und Schätzungen anstellen, wie viele der gefilmten Personen wohl damit einverstanden waren. Icke ist die junge Frau, die zwischendurch links im Hintergrund zu sehen ist (ab 2:13). In meinem Fall ist das nicht besonders tragisch – dass ich auf dem 23c3 war, ist schon allein dadurch ersichtlich, dass ich als Rednerin im Programm stehe. Ich tue auch nichts strafverfolgungsrelevantes und nichts, das mich sonstwie in Verlegenheit bringen könnte. Das ist an dieser Stelle aber reiner Zufall. Fakt ist, dass ich nicht damit einverstanden war, dass dagegen Einspruch erhoben wurde, gefilmt zu werden, uns versichert wurde, wir seien nicht im Bild – und ich bin im Bild. Spekulieren kann ich nur darüber, wie viel deutlicher ich bei der höheren Auflösung der Sendung im Fernsehen erkennbar bin, und ob es nicht durchaus möglich ist, den Sound so zu filtern, dass das, was ich sage, und was jetzt noch im Hintergrundrauschen unter geht, durchaus verständlich wird.

Who can you trust? Auf jeden Fall nicht ARD-Filmleuten.
Das Problem ist zur Zeit wohl eher zu viel als zu wenig Vertrauen.

10 Responses to “Privacy up your ass”

  1. classless Kulla » Blog Archive » Kamerateam Arschloch Says:

    […] Gestern habe ich noch darüber gescherzt, im Fernsehen gesehen zu werden. Was aber, wenn man gar nicht dort gesehen werden will, es auch deutlich gesagt hat und dann dennoch bei der ARD auf dem Schirm erscheint? […]

  2. ripper2256 Says:

    “Film- und Fotodokumentation ist nur am ersten Tag (27.12.2003) zwischen 10 und 14 Uhr möglich.”
    lang ists her…
    http://events.ccc.de/congress/2003/press.de.html

  3. mechko Says:

    Als Liebhaber der Szene wird es auch für mich zum Problem, wenn diese sich in eine diebische und habgierige Truppe verwandelt. Deshalb werde ich natürlich mit meinem Nachbarn über seine fragwürdigen Aktionen diskutieren, sofern ich Kenntniss davon habe. Insofern finde ich Barlows Aufruf überhaupt nicht überraschend, sondern ich empfinde das im Gegenteil als Selbstverständlichkeit. Ich brauche da auch nicht sowas wie Überwachung zu sagen, denn als Teil einer Gruppe diskutiere ich doch ganz selbstverständlich über deren Aktionen.

    Außerdem bringt der Link auf das Video einen 404.

    Grüße,
    mechko

  4. scrupeda Says:

    So wie du das sagst ist es eine Selbstverständlichkeit, nur dass ich mit so moralischen Kategorien wie ‘diebisch’ und ‘habgierig’ nicht hantieren mag. Aber schließlich bin ich auch nicht teil der Szene, um die es geht, sondern nur jemand, der daneben steht und mit dem Kopf schüttelt. Und ‘Szene’ und ‘Freunde’ sind auf jeden Fall zwei paar Schuhe. Vielleicht fehlt mir schon allein deswegen das Verständnis für solchen moralischen Furor, weil ich es bisher nicht geschafft habe, mich mit nur irgendeiner Szene zu identifizieren.

  5. wrigley Says:

    [Edit: Ich lasse diesen Kommentar hier als Beispiel für eine Äußerung stehen, die keinerlei inhaltliche Ergänzung darstellt. Sollten weitere solche Kommentare kommen, werden sie gelöscht. Wer unbedingt Komplimente loswerden will, soll sich zu meinem Emailspam gesellen. Sie zu einem Teil der öffentlichen Diskussion – sei es über meine Vorträge, sei es über eines meiner Blogpostings – zu machen betrachte ich als Ausdruck der Missachtung meiner Person, also als Beleidigung.]
    ———————————-

    hübsch siehst du aus 😉

  6. scrupeda » Blog Archive » ‘blog hackers female’ Says:

    […] Mag sein, dass ich gerade von dieser Diskussion und diesem Kommentar etwas benebelt bin, aber verwundern tut es mich schon, wenn ein ’subversiv’ mich mit ‘female’ (del.icio.us) tagged, dazu in der gar nicht kleinen Linksammlung als einziges ‘female’. Belustigt bin ich, dass ich dabei auch gleich zu einem Hacker wurde… […]

  7. mechko Says:

    Hab ich eigentlich irgendwas verpasst, oder warum hantiert hier keiner mehr gern mit moralischen Kategorien? Das würde mich tatsächlich mal interessieren.

    Offensichtlich gibt es innerhalb dieser abstrakten Diskussion sowas wie Verantwortung nicht (vgl das Beispiel Kreditkartenbetrug), was wohl nicht das Ziel sein kann (oder etwa doch?). Oder anders: Deine latenten Nichtbeteiligung, wie Du sie Dir selber attestierst, gibt Dir in meinen Augen kein Recht, den Beiteiligten von seiner Verantwortung zu befreien.

    Überhaupt finde ich die Kultur merkwürdig, alles erstmal auf einer entfernten Metaebene im Umfang eines Politikums hartnäckig zu diskutieren, sich dann aber bei weiterer nichtakademischer Konkretisierung auf sanftes Kopfschütteln zu beschränken.

    Grüße,
    mechko

  8. scrupeda Says:

    Ich halte es nicht für sinnvoll mit moralischen Kategorien zu argumentieren, schon allein weil sie auf die Erzeugung eines schlechten Gewissens statt auf Problemlösung angelegt sind.

    Ich kann dir nicht ganz folgen, wenn du meinst, es gäbe in dieser Diskussion keine Verantwortung. Das hier ist eine Meinungsäußerung, keine Anweisung oder derartiges. Wer auch immer glaubt, ich könnte irgendwem eine wie auch immer geartete Absolution erteilen, schreibt mir eine Autorität zu, die ich noch nie gehabt habe. Anders ausgedrückt: Bin ich als außenstehende nicht befugt, meine Meinung zu diesem Thema kund zu tun? Und ist nicht, egal was ich sage, jede/r immernoch selbst dafür verantwortlich was er/sie denkt und tut?

  9. mechko Says:

    Eben, jeder ist für seine Taten selbst verantwortlich. Oben schreibst Du jedoch, dass beim Betrug das Problem beim Betrogenen liegt, nicht beim Betrüger. Für mein Logikmodul ein offensichtlicher Widerspruch. Die übrigen Unterstellungen bezüglich meines Glaubens sind natürlich komplett daneben und die Erklärungen dazu mehr als trivial.

  10. wrigley Says:

    war nicht böse gemeint.