Deutsche Medientheorie?

Friedrich A.Kittler live

Friedrich A.Kittlers Aufsatz “Rockmusik – Ein Missbrauch von Heeresgerät”, veröffentlicht in der Shortcuts Reihe bei Zweitausendeins, ist ein vielsagender Blick auf die Technikgeschichte der populären Musik, und einer der wenigen deutschsprachigen Texte, die ich bisher zu dem Thema gefunden habe. Er ist vor allem gut, im Gegensatz z.B. zu der aufgeblähten Nichtssagung eines Poschardt. Auch einige der übrigen Texte in dem kleinen Band haben es mir angetan – er ist sich nicht zu fein, sich wirklich mit der Wissenschaft und Technik selbst zu beschäftigen, und kann drum auch besser über ihre Merkwürdigkeiten schreiben. So war ich neugierig als ich erfuhr, dass er heute sein neues Buch, Musik und Mathematik I, in einer kostenlosen Veranstaltung vorstellen würde.

Als ich (zu spät) kam ging es um Odysseus und die empirische Widerlegung seines bzw. Homers Berichts über seine Begegnung mit den Sirenen, die das wörtlich Nehmen Homers impliziere. Kittler echauffierte sich über die Sitte, genau das nicht zu tun, da Homer ja doch in hunderten archäologischen Details bestätigt sei. Warum sollte man dem Rest nicht auch Glauben schenken? Er leitete kurz darauf aus der Odysee eine Zeitreise Odysseus’, hier elegant als Möbiusband bezeichnet, her, der während seiner (-post-trojanische-Krieg) Reise im unzerstörten Troja vorbeigekommen sein soll. Er erwähnte einen Amerikaner, der untersucht habe, warum Homer uns wortwörtlich überliefert sei (!), und dies darauf zurückführe, dass das griechische Vokalalphabet entwickelt worden sei, um Homer aufschreiben zu können. Kittler selbst ging weiter und sprach davon, dass die Eigenart des griechischen Alphabets, nicht nur Schriftsprache zu sein, sondern gleichzeitig die Zahlen und die Musikschrift zu stellen, der Usprung der modernen Wissenschaft, und die lange europäische Vorherrschaft auf diesem Gebiet genau dieser Schrift zu verdanken seien.

Anschließend drohte Kittler Heideggers Seinsgeschichte “wörtlich zu lesen” und freute sich über die Renaissance, die dieser Denker gerade auch in Deutschland erfahre, jetzt wo der Einfluss der philosophischen Banausen von der Frankfurter Schule schwinde. Kittler sprach auch von dem Wunsch, Heideggers Versuch einer gesamteuropäischen Geschichte wieder auf zu nehmen. Ab da entglitt das ganze in nichtssagendes Gelaber über den Vergleich zwischen Sex in der Antike und heute, wobei Kittler sehr der Sexualerziehung des vorklassischen Sparte nachtrauerte.

Die Mathematik kommt dadurch zustande, dass siebzehnjährige Männer beschließen, kein Bier zu trinken und keine Freundin zu haben.

Insgesamt war es eine erstaunlich sexistische Veranstaltung in dem Sinne, dass in der von Kittler benutzen Sprache mit “Wir” und dem klassischen “man” eben doch nur Männer gemeint sind. Recht absurd, wenn das Publikum, das über die Witze lacht, zu relativ gleichen Teilen aus Frauen und Männern besteht. Insgesamt eine etwas armselige Art der Abendunterhaltung, akademischer Zirkus wie er im Buche steht, auch die jungen Leute schienen mir schon schrecklich alt, eine Diskussion war natürlich nicht vorgesehen, hinterher wurde gehorsam gekauft und es ist nur folgerichtig, dass das ganze in der Rotunde im Alten Museum stattfand:

Die Rotunde im Alten Museum

Hier, unter den Augen preussischer Nachbildungen antiker Götterstatuen, in einer heftig hallenden Kuppel, plädierte er also dafür, Homer und Heidegger wörtlich zu nehmen.

Damn that’s german!

7 Responses to “Deutsche Medientheorie?”

  1. classless Says:

    Das ist vollendete Dialektik: Homer stimmt, weil alles auf ihn zurückgeführt wurde; die Unfähigkeit, Zahlen besonders darzustellen, wertet das Griechische zum holistischen System auf. Identität ist, wenn Deutsche doppelt sehen. Na zdróvje!

  2. Tanja Says:

    Schön beschrieben. Habe zu wenig Ahnung von Veranstaltungen akademischer Art um ausschliessen zu können, dass das nicht in der Schweiz auch möglich wäre. Aber “man” sagen und nur Männer meinen ist – dank Gleichstellungsbeauftragten an jeder Uni, weil wir doch in den Rankings in dieser Sache immer so schlecht abschliessen – ziemlich verpönt.

  3. scrupeda Says:

    Die HU, wo Kittler Prof. ist, ist auch die eine von den vier Berliner Unis, die den Sudiengang Gender Studies anbietet.

  4. classless Says:

    Ich denke, es handelt sich bei der Zuschreibung ‘deutsch’ nicht um eine staatliche oder ethnische, sondern um eine ideologische.

  5. Herge Says:

    Die HU, wo Kittler Prof. ist, ist auch die eine von den vier Berliner Unis, die den Sudiengang Gender Studies anbietet.

    Und sowohl gender studies als auch Kulturwissenschaft (an der Kittler forscht und lehrt) befinden sich im selben Gebäude, nur zwei Stockwerke entfernt. Die Gender Studies sind auch aufgrund von Initiativen aus der Kulturwissenschaft entstanden.

    Und ob man die Veranstaltung (die ich auch gesehen habe) als “reichlich sexistisch” bezeichnen kann, wage ich doch zu bezweifeln. Kittler übernahm ja nun gerade den Versuch, eine von heutiger Geschlechtertrennung hoch unterschiedene – und, was er ja auch stets betonte, nicht mehr erreichbare, also vergangene – Kultur zu beschreiben, die Geschlechtlichkeit und Schönheit von Geschlechtlichkeit in Matrizen dachte, die heute kaum mehr zu rekonstruieren sind. Mag sein, dass dies, belegt man dies mit heutigen Geschlechtermatrizen (zu denen, ja, leider Gottes, eben auch die Gender Studies ihren Beitrag beitragen), bewegt man sich also im unhistorischen Raum bei der Beurteilung, dann freilich mag man in solchen Worten eine softpornografische Männerphantasie gehört haben. Hat Kittler ja auch eingangs des Gesprächs betont, dass über solche Themen offenbar nurmehr unter Theweleit’scher Diktion zu reden ist.

  6. scrupeda Says:

    Nur dass ich den Sexismus gar nicht an dem Gesprächsthema festgemacht habe, scheint dir nicht aufgefallen zu sein.

  7. classless Says:

    Interview mit Geoffrey Winthrop-Young über Friedrich Kittlers Kulturtechnikgeschichte, den Werkzeugkastenzugang und die Rückkehr des Befehlsnotstandes unter medienwissenschaftlichen Vorzeichen

    http://www.heise.de/tp/r4/artikel/22/22564/1.html