The Medium Is The Mess #5
Zur Testcard#15, fünfter und letzter Teil
Was soll das sein, ‘Medientheorie’? Und was hat es mit dieser Ausgabe der Testcard zu tun? Um erstes Licht ins Dunkel zu bringen, wende ich mich an die Wikipedia und erfahre:
Als Medientheorie werden spezifische oder generalisierte Forschungsansätze verstanden, die das Wesen und die Wirkungsweise von Einzelmedien oder der Medien generell zu erklären versuchen.1
Die Systematik hilft da eher: Dort wird zwischen Einzelmedientheorien, kommunikationstheoretischen, gesellschaftskritischen und systhemteoretischen Medientheorien unterschieden. Welche Zielsetzung The Medium Is The Mess selbst verfolgt, ist nicht klar, und auch die Frage vielleicht falsch gestellt, gehört eine wie auch immer geartete theoretische Einheitlichkeit doch nicht zu ihrem Programm. Das Editorial scheint hauptsächlich eine diffuse Unzufriedenheit mit den gegenwärtigen ‘popkulturellen Debatten’ zu artikulieren. Dabei heißt es, über den Status quo ‘der Medien’ nachzudenken bedinge eine – ‘zum Teil scharfe’ – Kritik. Gleichzeitig erscheinen ‘die Medien’ als durch den Charakter ihrer Inhalte zu erklären:
[…] dabei findet sich das Schlimmste in dieser testcard-Ausgabe gar nicht mal angesprochen, weder Sabine Christiansen noch Beckmann oder Kerner, weder Stefan Raab noch die Bullshitisierung kultureller Diskurse durch Volker Panzer im Nachtstudio.
Nun sind mir popkulturelle Debatten an sich erstmal egal 2, und in der Analogie zu obigem Zitat frage ich mich, wann endlich an der menschlichen Sprache scharfe Kritik geübt wird, da mit ihr ja offensichtlich in erschreckendem Ausmaß von Massen von Menschen der größte Mist geredet wird. So liest sich obiges Zitat eher wie geschmäcklerisches Gejammer über das Programm, das einem nicht passt, als wie eine dem Verständnis irgendwie dienliche Feststellung. Und wenn diese Beispiele aus dem Fernsehprogramm schon als der Gipfel der Schrecklichkeiten herhalten müssen, sagt das doch hauptsächlich, dass es gar kein wirkliches Problem gibt. Also alles in Butter?
Ansonsten habe ich zu dieser Augabe nicht mehr viel zu sagen; Johannes Ullmaiers “Hat jemand etwas anderes behauptet?” Über Wirklichkeit als Medium. ist lesenswert, wenn auch in der Verweigerung von sowas wie einer stringenten Argumentation geradezu adornitisch:
Medientheoretiker sind ein bisschen so wie Werbung: Um zu reüssieren, müssen sie schreien, übertreiben, und dem Schwachsinn Opfer bringen, manchmal auch der Macht (McLuhan ‘kommunizierte’ viel für General Electric).
Und:
Unsere Schallplatten handeln vom Rohöl, das für sie verbraucht wird. Sorry.
Marcus Stigleggers DVD – “Digital Variation Disc”? Anmerkungen zu einem Medium der absoluten Zuschauer-Souveränität. fällt klar in die Kategorie der ‘Einzelmedientheorie’, und befreit sich von der Illusion des ‘einzigartige Artefakts’, ‘des vollkommenen und abgeschlossene Spielfilms’, den es in Wirklichkeit nie gegeben habe, weshalb er auch von der DVD nicht zerstört werden kann. Wobei der Gedanke durch eine Rückgriff auf die Kritische Theorie ergänzt werden könnte, da der Film überhaupt erst aufkam, als die Kategorie des ‘Werks’ laut Adorno schon im Zerfall begriffen war. Und auch auf diese Frage ließe sich leicht eine adornitische Antwort finden:
Was zählt der Film, wenn das Medium seine eigenen Anforderungen hat? 3
Interessanter ist es aber, nach einer anderenzu suchen. Kerstin Stakemeier (Kunst und Nebenwelt. Medien der (Re)Aktion.) wiederum hat Benjamin anscheinend komplett anders gelesen als ich, wenn sie schreibt, er habe über die Zementierung der Trennung von Produzenten und Rezipienten geschrieben; heißt es bei ihm doch u.a., dass mit der ‘wachsenden Ausdehnung der Presse’ ‘immer größere Teile der Leserschaft’ ‘unter die Schreibenden’ gerieten, bzw.:
Damit ist die Unterscheidung zwischen Autor und Publikum im Begriff, ihren grundsätzlichen Charakter zu verlieren.
(Nimm das, Web 2.0!) Andererseits glaube ich auch nicht, dass ich viel von ihrem Text verstanden habe. Nun ja.
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P.S.: Susann Witt-Stahl hat für mich einen der absoluten Tiefpunkte der Ausgabe verfast:… nichts weiter als barbarische Schlachterei. Krieg in der neoliberalen Mediengesellschaft. Darin vertritt sie die These der Politikwissenschaftlerin Mary Kaldor,
die behauptet, die Ideologie des Krieges habe sich gewandelt. Als Legitimation militärischer Aktionen diene weniger die ‘Wahrung nationaler Interessen’, sondern die ‘Verteidigung der kulturellen Identität’ – Krieg als Kulturkampf für unseren Way of Life, der grundsätzlich mit “Zivilisation” gleichgesetzt wird
und kommt zu dem Schluss:
Krieg als grausames Naturschauspiel, das weder politische Ursachen noch ökonomische Hintergründe kennt und damit das Ende der Geschichte markiert.
Möglicherweise besteht hier schlicht eine große Diskrepanz zwischen den von uns jeweilis konsumierten Medien – mein Eindruck ist geradezu gegensätzlich der, dass die Betonung der Bedeutung des nationalen Interesses unter der gegenwärtigen usamerikanischen Regierung im Verhältnis zur Ära Clinton eher eine Renaissance erlebt hat.
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- Bei ‘Wesen’ sehe ich schon fast Gespenster.
- Christoph Jäcke versucht sich in diesem Band (Museum, Archiv, Netz. Popgeschichte(n) als Mediengeschichte(n)) an einer Popkultur-Definition, die auch nicht gerade dazu beiträgt, meine Neugier zu kitzeln:
“Ich begreife Popkultur als den kommerzialisierten Bereich, der Themen industriell produziert, medial (im Sinne von massenmedial) vermittelt und von zahlreichen Personen mit Vergnügen genutzt und weiterverarbeitet wird.” - Wird die DVD als künstlerisches Medium aufgefasst ist diese Frage eine, die sich bei jedem Medium stellt, mit der jeder Künstler zu ringen hat, um nicht zu sagen eine, die Kunst gerade ausmacht. Sogesehen könnte man argumentieren, dass nur diejenigen, die nur die übertragenen Bilder, Klänge und Bewegungen (also ‘den Film’) als das künstlerische Material einer DVD betrachten, schlicht zu kurz denken; die Möglichkeiten, die der Zuschauer hat und die, die man ihm gibt, gehören auch dazu. Fraglich, ob es sogesehen bereits sowas wie ‘DVD-Kunst’ gibt.
- Ich seh schon wieder Gespenster.
January 23rd, 2007 at 10:09 pm
[…] Letztes Jahr geisterten noch ein paar Texte durch mein Blickfeld, denen man zumindest sowas wie einen medientheoretischen Anspruch unterstellen kann. Im Folgenden fasse ich sie zusammen, kommentiere daran rum und versuche herauszuarbeiten, warum die meisten hiesigen Versuche ‘die Medien’ oder auch ‘die neuen Medien’ oder ‘das Internet’ zu begreifen so unbefriedigend sind. Die letzten drei Texte können als positive Gegenbeispiele zu dem dienen, was die deutsche gedruckte Intelligentzia so von sich gibt. Das ganze ist eine Fortspinnung meines letzten Postings zur Testcard#15: ‘The Medium is the Mess’. […]