(keine) Medientheorie Nachschlag

Letztes Jahr geisterten noch ein paar Texte durch mein Blickfeld, denen man zumindest sowas wie einen medientheoretischen Anspruch unterstellen kann. Im Folgenden fasse ich sie zusammen, kommentiere daran rum und versuche herauszuarbeiten, warum die meisten hiesigen Versuche ‘die Medien’ oder auch ‘die neuen Medien’ oder ‘das Internet’ zu begreifen so unbefriedigend sind. Die letzten drei Texte können als positive Gegenbeispiele zu dem dienen, was die deutsche gedruckte Intelligentzia so von sich gibt. Das ganze ist eine Fortspinnung meines letzten Postings zur Testcard#15: ‘The Medium is the Mess’.

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Überblick


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Geert Lovink: Zugriff verweigert – Web 2.0: Von wegen Glanz und Ruhm

Hier muss ich mir den medientheoretischen Anspruch nicht herbeiphantasieren, allerdings finden sich in dem fraglichen Text nur ‘einige »strenge Reflexionen« über die gegenwärtigen Internetdiskurse’1, billiger Antiamerikanismus, und eine bestenfalls sozialdemokratische Analyse:

Mir geht es in diesem Zusammenhang darum, wie man das Loblied auf den Amateur in Frage stellen kann – aber nicht aus der Perspektive des bedrohten Establishments, sondern aus der Perspektive der kreativen (Unter-)Klasse, der virtuellen Intelligenzija, des Prekariats, der Multitude, der neuen Medienarbeiter, die ihre soziale Stellung professionalisieren wollen. Was wir brauchen, sind ökonomische Modelle, die ambitionierten Amateuren dabei helfen, von ihrer Arbeit zu leben.

Die Schlussfolgerung mag noch nichteinmal falsch sein, naiv ist sie allemal, und insgesamt entspricht das eher einem Versuch, die Situation der geistigen Arbeit unter gegenwärtigen Produktionsbedingungen im Sinne einer potentiellen Vergewerkschaftung zu interpretieren, als einer Verbreitung neuer Erkenntnisse über ‘das Wesen und die Wirkungsweise von Einzelmedien oder der Medien generell’.

Michael Betancourt: The Aura of the Digital

Betancourt verkündet einige sehr merkwürdige Ansichten darüber, was Benjamin angeblich geschrieben habe, und macht es sich leicht, diese angeblichen Thesen zu verwerfen, indem er schlicht erklärt, eine Darstellung des verworfenen würde zuviel Platz beanspruchen. Wenn man ‘Aura’ mal kurz umdefiniert, kann man auch schreiben:

What Abbing suggests is that “aura” is not as Benjamin proposed it, but is instead a function of the reproductive process itself.

Der Text ergibt mehr Sinn, wenn man den Teil, der sich an Benjamin abarbeitet schlicht überspringt, und die vorgestellten Thesen für sich liest. Dabei fallen einige bemerkenswerte Erkenntnisse ab, so z.B. dass es der gegenwärtigen Sprache an Begriffen fehlt, um die Beziehung zwischen verschiedenen Instanzen eines digitalen Objektes zu beschreiben. ‘Original’ und ‘Kopie’ verschleiern den Sachverhalt eher. Er beschreibt die Eigenarten digitaler Objekte (dO) – ihre Unveränderlichkeit in der Zeit bzw. ihre Unabhängigkeit von einem bestimmten physischen Träger, der im Laufe der Zeit verfallen würde, als auch der Umstand, dass Kopier- bzw. Vervielfältigungsvorgänge nicht zu einem Qualitätsverlust von ‘Original’ oder ‘Kopie’ gegenüber dem ‘Original’ führen – durch die das Konzept des ‘Originals’ hier seine Gültigkeit verliert.

Ausgehend von der Unterscheidung der physischen und symbolischen Aspekte von ‘Aura’, deren Ursprung er eng verbunden mit der Erfindung des Tauschwerts/Geldes sieht, schreibt Betancourt über dO:

The encounter with a digital object remains a material engagement, but one where the material is separate from the digital work, serving as a presentation of the work

Daraus folge eine spezifische ‘Aura der Information’, der die Illusion zugrunde liege, dass das ‘Digitale’ selbst das Physische tranzendiere. Diese Eigenschaften dO – also die potentielle ‘Unsterblichkeit’, unendliche Reproduzierbarkeit, und Anspruch auf die ‘aura of information’ – produzierten notwendig Speicher- und Managementprobleme. Was schließlich ein neues Licht auf DRM und andere Kontrollsysteme und Rechtsfragen wirft: Diese selben Eigenschaften führten zur Kontingenz sowohl des Rechtes auf ein dO zuzugreifen als auch der ‘technologischen Basis digitaler (Re)Produktion’. Denn:

The impact of the digital work’s particular form of “uniqueness” on intellectual property reveals itself as the issue of access to the work: the right to read, rather than to own a copy. Possession and access are separated from one another.

Das neue Geschäftsmodell für geistiges Eigentum ähnele eher der Idee einer Bank/finanzieller Dienstleistungen: Nur autorisierte Personen könnten hier ihre Geschäfte abwickeln, und um zu diesen Personen zu gehören, müsse man sein Geld auch in dieser Bank investieren. In jedem Fall sei der Zugang der Kunden zu was auch immer, was sie tun können, und was es sie kostet, von der Bank bestimmt. Im wesentlichen eine etwas umständlichere Beschreibung des Sachverhalts, den Mathias Schindlers Nutzungsbestimmungen eines Buches schon so treffend illustriert haben.

Digitale Dinge sind anders.

Christian Heller: Emanzipation und Ausbeutung kooperativer Massenkraft, von Marx bis zum Web 2.0 (pdf)

Ausgehend von Fragen nach dem Charakter der seit dem späten 20. Jahrhundert technisch möglichen neuen Formen gesellschaftlichen Arbeitens und einem Rückbezug auf Marx beschreibt Heller die Bedeutung des Geistigen Eigentums für eine ‘Informationsgesellschaft’ als Möglichkeit der Verwertung von Ideen/nicht mehr im engeren Sinne materiellen Gütern. Sei ehedem der Privatbesitz von Maschinen und Rohstoffen für den Kapitalisten kennzeichnend gewesen, so scheine analog in der ‘Informationsgesellschaft’ der ‘Privatbesitz von kreativer und wissenschaftlicher Infrastruktur feststellbar’. In der Open-Source- und Free-Software-Bewegung ließe sich nun eine Vergesellschaftung genau dieser Mittel der geistigen Produktion sehen. Er geht auf Richard Stallman ein, der im Grunde die Enteignung in Privatbesitz eines zuerst noch von allen in höchster Produkivität und zum gesellschaftlichen Wohl bewirtschafteten Gemeingutes, in diesem Fall Programmcode, beklage, und beschreibt das Modell der GPL, das die künstliche Knappheit des Geistigen Eigentums behebe und versuche, dies den ‘Software-Kapitalisten’ durch die Ersetzung ihres Geschäfts mit Information als Ware durch das der Dienstleistung als Ware schmackhaft zu machen. Ganz so illusorisch, wie das im ersten Moment klingen mag, ist es nicht, darauf deutet schon allein die Beteiligung großer Firmen an der Entwicklung von OS-Produkten hin:

Tatsächlich bringt das OpenSourceEntwicklungsprinzip, ebenso wie die vergesellschaftete Arbeit bei Marx, Produktivitätsvorteile mit sich, die sein weiteres UmsichGreifen mindestens im Bereich der SoftwareEntwicklung wahrscheinlich machen.

Er beleuchtet die Wiederauferstehung von Adam Smith’ Vorstellung der unsichtbaren Hand des Marktes, die alles zum Besten regele, in den Vorstellungen über die massenhafte freie Kooperation im OS-Bereich am Beispiel Eric S. Raymonds, und am Beispiel Chris Andersons den Glauben, durch das Internet seien wir in eine Long-Tail-Ökonomie eingetreten, in der jede/r an jede/n alles verkaufen könne, und jede/r eine Nische für die Verwertung dessen finden könne, was er/sie sowieso machen wolle. Das, was letzten Endes wirklich verwertbar bleibe, wenn geistige Arbeit durch die Aufhebung der künstlichen Verknappung und die massenhafte Beteiligung von Amateuren einem gravierenden Preisverfall unterliege, seien:

Aufmerksamkeit und Reputation, aber auch vertrauliche persönliche Daten, beides zur Vermarktung von Waren, die letztlich zwangsläufig zurückverweisen auf eine Welt natürlicher Knappheit außerhalb der digitalen Sphäre.

Es scheine jedoch ein Konflikt möglich zwischen der auf Geistigem Eigentum basierenden äußeren kapitalistischen Form, und den “von ihr verwerteten Produktivkräfte, die auf der gerade solches ignorierenden kooperativen Arbeit von Internetnutzermassen basieren.” Und:

Doch außerhalb der digitalen Sphäre existiert nach wie vor eine kapitalistische Gesellschaftsform, die lebensnotwendige materielle Waren in Knappheit vorhält und nur gegen Geldmengen heraus gibt, die bisher kaum jemand durch einfaches Tunwasichwill in Andersons LongTailInternet erreichen dürfte.

Mary Poppers: Communist plot

Mary Poppers erfreut sich lieber an der Hoffnung auf die Realisierung der Universalmaschine als Haushaltsware:

Nebenbei beweist sich dann vielleicht noch im Nichtmehrdiehandumdrehen das Gesetz vom tendenziellen Fall der Profitrate, denn wenn keiner mehr arbeitet, also fixes Kapital das Variable vollkommen verdrängt hat, dann ist´s Essig mit der Akkumulation. Es sei denn, das gerade von diversen Unternehmen noch fester gezurrte geistige Eigentum antizipiert die Entstehung einer neuen Produktionsweise, welche die Ware ihrer materiellen Gestalt entkleidet. Verkauft werden dann nicht mehr Autos, sondern das kopiergeschützte CAD-Modell eines Autos übers Internet. Die Auto-Cracker würden nicht lange auf sich warten lassen und zeitgenössische anti-piracy spots mit dem claim You wouldn´t steal a car. Movie piracy is stealing. als kulturhistorische Artefakte einer vergangenen Epoche belächelt werden.

Eine Vorschau dazu ist gerade schon zu beobachten: Freedom to Tinker: CopyBot Roils SecondLife Economy

Fazit

Die Abwesenheit von Neugier auf die Möglichkeiten von Technologien (also die Abwesenheit des spielerischen Umgangs mit ihnen als auch der begründeten Paranoia im Gegensatz zu allgemeiner Technikfeindlichkeit) sorgt dafür, dass neue (und alte) Technologien nicht wirklich begriffen werden. Das sofortige Stürzen auf die Inhalte funktioniert als eine Umgehung der Analyse der nichtbegriffenen Möglichkeiten. Da die hiesigen Wortarbeiter diese Möglichkeiten nicht begreifen, verstehen sie auch die gegenwärtigen Konflikte um geistiges Eigentum, Datenschutz und Kontrolltechnologien nicht, können zukünftige Entwicklungen nicht einschätzen, und sowas wie wirkliche Kritik fällt aus. Ohne den Überfluss zu sehen, den die praktisch verlustfreie Reproduktion ‘digitaler Objekte’ möglich macht, kann man die tobenden Verteilungskämpfe – von DRM bis zur Verschärfung des Urheberrechts – nicht als solche erkennen. Wenn es aber keiner merkt, dann kämpft auch keiner. Als Ergebnis könnte sich eine Situation ergeben, in der mit Hilfe juristischer Mittel dafür gesorgt wird, dass die Vermarktung und Nutzung digitaler Objekte von den selben Knappheitserscheinungen geprägt wird wie die herkömmlicher Dinge, nur dass diese Knappheit mit einem sehr großen Aufwand hergestellt und aufrecht erhalten werden muss. Die allgemeinen Probleme der Zugangsregelung und des ‘Information Management’, wie Betancourt sie skizziert hat, werden schlagartig sehr konkret, wenn man sie auf aktuelle Entwicklungen in Überwachung und Datenschutz anwendet. Aber auch hier gilt: Wenn sich keiner dafür interessiert, wer eigentlich was über ihn weiß, wissen kann und wissen darf, und was man mit diesem Wissen anstellen kann, bleibt von ‘Privatsphäre’ eben nicht viel übrig.

Das Desinteresse gegenüber den Möglichkeiten und Gefahren einer neuen Technologie hat schon einmal (mindestens) dazu geführt, dass die Menschen dieses Landes Verhängnisvolles haben geschehen lassen: Als das Radio eingeführt wurde, wurden nicht nur Radio-Amateure de facto illegalisiert (die Eliminierung einer Möglichkeit), sondern das Reichspostministerium konnte auch durchsetzen, dass nicht nur das Senden, sondern auch das Radio-Hören genehmigungspflichtig wurde und die Sendungen einer gründlichen Zensur unterlagen (Disziplinierung durch Kontrolle). Auch für diese juristische Beschneidung technischer Möglichkeiten, verbunden mit einer durchgreifenden Kontrolle der Nutzung, hat sich niemand interessiert. Damals haben es diese Regelungen Goebbels sehr leicht gemacht, das Radio zu übernehmen und als Propagandainstrument gleich zu schalten. Heute geht es nicht in erster Linie darum, ob irgendwelche Demagogen (oder ehrenwerten Geschäftsmänner) diese Verhältnisse ausnutzen können, sondern darum, wie wir in den kommenden Jahrzehnten leben werden. Eigentlich kein ‘special interest’.

P.S. Ein Medium ist erstmal nur etwas zwischen anderen Dingen, und ansonsten ein dermaßen unbestimmter Begriff, dass man ihn schlicht so weit möglich meiden sollte, will man sich nicht in Belanglosigkeiten verlieren.

P.P.S. Natürlich verallgemeinere ich hier ganz schön rum und es gibt auch in Deutschland Datenschutz- und Urheberrechtsaktivisten. Sie sind nur ausgesprochen marginal und gehören in der Regel einer technisch geprägten Subkultur an. Der Anschiss geht an die Intellektuellen.

P.P.P.S. Ein Medium ist erstmal nur etwas zwischen anderen Dingen, und ansonsten ein dermaßen unbestimmter Begriff, dass man ihn schlicht so weit möglich meiden sollte, will man sich nicht in Belanglosigkeiten verlieren.

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  1. Lauter Gespenster überall.

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