Andreas Hartmann is killing sound

In der aktuellen Ausgabe der Jungle World gibz auf Seite 3 in der Rubrik “Platte Buch” eine Rezension von The Bugs neuem (Single-Compilation-)Album “Killing Sound”. Wirklich deutlich macht die Besprechung vor allem, wie wenig Andreas Hartmann von dieser Musik verstanden hat.

Hier die Details:

Die neue Public-Enemy-Platte bringt’s ja gar nicht, da fehlen die Sirenen, der Lärm, das Schmerzende.

Der Satz ist nicht falsch, nur schlecht. ‘Bringt’ was denn bitte? Wer hält denn PE noch für einen Maßstab in Sachen Lärm?

Das jedoch haben wir hier, auf dieser feinen Singles-Compila­tion des Labels Razor X, das so klein zu sein scheint, dass es Zuflucht bei einem anderen kleinen Label, Rephlex, gesucht hat, um diese Werkschau überhaupt einigermaßen angemessen präsentieren zu können.Razor X ist der Ragga-Clash-Laden von Kevin Martin aka The Bug und The Rootsman, die sich beide seit Jahren redlichst darum bemühen, jamaikanische Soundsystemmusik auf gar keinen Fall mit Bob-Marley- und Sunshine-Reggae-Klischees in Berührung kommen zu lassen.

The Bug als die neuen Public Enemy. Aha. Ich verstehe nicht, warum die Größe der Labels hier von Interesse ist, und warum Hartmann ausgerechnet von ‘Zuflucht suchen’ spricht. ‘Ragga-Clash-Laden’? Hartmann steckt wohl der Electroclash noch so in den Knochen, dass ihm da mal kurz der Stift ausgerutscht ist. Und Kevin Martin und The Rootsman sind also ausgezogen, die jamaikanische Soundsystem-Musik von Reggae-Klischees fernzuhalten. Sie machen nicht zufällig in einem Umfeld, indem es eine sehr eigene und lebendige Soundsystem-Szene gibt (die mehrere verschiedene Musikstile hervorgebracht hat) Musik, die sich drastisch von allem unterscheidet, was gerade wirklich aus Jamaika kommt? Ich glaube nicht, dass Kevin Martins Ziel darin besteht, mit seiner Musik bloß nicht die Vorurteile alter deutscher Säcke zu bedienen. Der Verweis auf jamaikanische Soundsystemmusik erscheint mir schon fast rassistisch wie die Sunshine-Reggae-Klischees, von denen Hartmann selbst schreibt.

Vor allem Martin, der von Schmerzensrock bis Free Jazz schon alles durch hat, womit man seine Eltern erschrecken kann, hat sich inzwischen einen Namen als echter Dancehall-Brutalo gemacht. Dancehall, so macht er immer wieder deutlich, sei letztlich die Form Kampfmusik, von der er eigentlich immer geträumt hatte.

Und Hartmann wünscht sich manchmal einfach mehr ‘echte Kerle’.

Auf Razor-X-Produktionen gibt es dann auch mehr Krach und überbordende Energie, als ihn jede Punkband heute noch hinbekommen könnte. Unterschiedlichste MCs wälzen sich in scheppernden Breakcore- und halbverdauten Dancehall-Beats, Jah der Allmächtige und Hans Söllner sind da ganz schön weit weg.

Wenn man unbedingt Vergleiche und Referenzen will, könnte man Jungle hinzuziehen, Raggacore, Dubstep, Londoner Piratenradios und wenn es sein muss Rave als eine der Wurzeln der Londoner Soundsystemkultur. Es ist nicht nötig, eine auch in ihrer Form schon fragwürdig absolute Aussage über heutige Punkbands zu treffen. Woher will Herr Hartmann wissen, was jede Punkband heute vielleicht könnte? Ich glaube, er wollte uns mit jenem Satz aber irgendwas anderes sagen. Vielleicht dass früher alles besser war, als noch ‘jede Punkband’ diese ‘überbordende Energie’ ‘hinbekommen’ konnte?
Die ‘halbverdauten Dancehall-Beats’ deuten darauf hin, dass Kevin Martin nicht weiß, was er tut. Glaubt Herr Hartmann das wirklich von einem, ‘der schon alles durch hat’? Wenn er am Freitag tatsächlich ins KAPITAL gehen sollte, müsste ihn schon allein Martins diabolisches Grinsen eines besseren belehren. Ich glaube allerdings nicht, dass er da sein wird, denn:

Auf die Dauer sind die permanenten Beatexplosionen und Krachkaskaden natürlich ziemlich anstrengend, Kevin Martin und seine Kollegen kennen da nichts: Tod durch Überforderung halten sie wahrscheinlich für einen schönen Tod. Doch als Alternative zu den oftmals einfach nur hingeschlampten neueren Breakcore-Platten und dem geschmacksfixierten Roots-Reggae-Reissue-Wesen ist dieser geballte Razor-X-Auswurf, der unter dem Titel »Killing Sound« geradezu programmatisch zusammengefasst wurde, absolut begrüßenswert.

Bei diesem letzten Abschnitt fragte ich mich, ob Herr Hartmann Breakcore überhaupt ‘kennen’ würde, wenn nicht diesen Samstag in der K9 eine Breakcore-Jungle-World-Soliparty wäre. Dass er von Breakcore keine Ahnung hat bzw. sich zumindest nicht wirklich dafür interessiert, macht die Bemerkung über die “neueren Breakcore-Platten” nur überdeutlich. Einerseits empfand ich 2005 als ein sehr üppiges Jahr für Breakcore-Alben (genannt seien z.B. Venetian Snares’ Rossz Csillag Alatt Született und Scotch Eggs KFC Core, wer an einer längeren Liste interessiert ist kann sich gerne bei mir melden), andererseits ist das eben auch kein Genre, in dem Alben überhaupt so eine große Rolle spielen. Abgesehen davon, dass es recht albern ist, Breakcore ausgerechnet ‘Hinschlampung’ vorzuwerfen, als ob es um ‘Ordnung’, ‘Sauberkeit’ oder dergleichen ginge, und nicht gerade das Hingerotzte an dieser Stelle vielmehr ein Feature wäre. All das wüsste Herr Hartmann auch, wenn er noch nicht lange genug ‘dabei wäre’, um ältere und ‘neuere Breakcore-Platten’ vergleichen zu können.

Ach ja, und die Platte ist natürlich nicht einfach gute Musik oder so, sondern nur zwischen lauter anderem Mist ‘begrüßenswert’. Ich glaube, ich schreibe mir ‘Hinschlampung’ noch irgendwann auf ein T-Shirt.

P.S. Viel besser ist z.B. dieses Interview mit Kevin Martin, und sogar die Antiimperialisten vom Trust Magazin haben es vor zwei Jahren schonmal geschafft ein unpeinliches Interview mit ihm zu machen.

12 Responses to “Andreas Hartmann is killing sound”

  1. classless Says:

    Die “oftmals einfach nur hingeschlampten neueren Breakcore-Platten” fand ich auch sehr bezeichnend für dieses Bedürfnis, etwas abzutun, das er wohl einfach verpaßt hat.

  2. harry hirsch Says:

    Das mit den Soundsystems sehe ich ein bißchen anders: Kevin Martin nimmt selbst positiv Bezug auf eine Soundsystemkultur, die ja in UK existiert, und zwar richtig groß. Das mit dem “jamaikanisch” ist aber in der Tat fraglich, angestoßen wurde das ganze irgendwann von jamaikanischen Einwandereren aber spätestens seit den Soundsystems in Techno und artverwandtem hat das wenig mit den Ursprüngen zu tun, die ethnische Konnotation wage ich zu bezweifeln. Bin ich aber auch nicht der Experte für, inwieweit Reggae an welchem Ort “ethnische” Musik ist oder es sich überhaupt lohnt, diese Frage zu stellen.

    Nochmal mein Senf dazu:
    Wem zu Reggae selbst nur Sunshine und Bob Marley, Jah und Hans Söllner einfällt, der will entweder auf ziemlich widerliche Weise die Leserschaft für strunzdumm verkaufen – oder hat selbst überhaupt keine Ahnung vom Gegenstand. Ich tippe fast auf beides.

    Die Referenzen sind alle unter aller Kanone. Kategorie “black music” aufgemacht und BOB MARLEY und PUBLIC ENEMY erwähnt, mehr hat man in der INTRO vor 10 Jahren wohl nicht aufgeschnappt. Dazu REPHLEX als kleines Label bezeichnen, oh mann.

    Was hat THE BUG eigentlich mit “Breakcore” zu tun? Wo soll da der Zusammenhang bitte sein?
    Penetrant hier, wie von scrupeda ja aufgezeigt, diese negative Referenzfolie “schlechte neue Breakcoreplatten”. Welche sollen denn das sein? Hartmann hat mal gehört, das “Breakcore” ja zur Zeit ein ganz heisser Untergrundtip sein soll – und wirft mit dem Begriff als leere Hülse um sich in der Jungle World.
    Der ganze Artikel ist klassische Rockjournailleschreibe: Artist XY und Label XY sind ganz wichtig weil so innovativ und outstanding und ganz wichtige Impulse setzen und da ihr eh keine Ahnung habt, kauft den dicken Namen. Vor allem dass weder THE BUG noch RAZOR X so taufrisch sind, wie sie hier angepriesen werden. Fresst Staub, ihr niederen Kreaturen, ich habe zu Euch gesprochen, der große Hartmann!

  3. scrupeda Says:

    @harry:
    d’accord! Ich habe ja auch nicht den Bezug auf Soundsystems, sondern die festlegung auf ‘jamaikanische’ ‘soundsystemmusik’ bemängelt. Die Verbindung zu Breakcore ist nicht ganz daneben, ich habe bisher fast ausschließlich breakcore/raggacore-DJs The Bug auflegen hören, und der AFX Twin Remix von “Run The Place Red” passt auch in diese Richtung. Ich glaube trotzdem nicht, dass der werte Schreiberling selbst irgendwas davon mitbekommen hat. Schon gar nicht das ‘reguläre’ Album von The Bug von 2003. Und ja, Rephlex als kleines Label zu bezeichnen fällt eigentlich auch nur jemandem ein, der sich für die dort erscheinende Musik normalerweise nicht interessiert, bzw. eher in wirklichen Hitparadendimensionen denkt…

  4. classless Says:

    @Harry
    Ja, und: “Wem zu Reggae selbst nur Sunshine und Bob Marley, Jah und Hans Söllner”, der hat vor allem ein schrecklih deutsch gefiltertes Bild von Reggae und seinen musikalischen Abkömmlingen. Meine Ideologiekritik am deutschen Reggae bezieht sich nicht zuletzt auf die genannten, das allerdings mit gegenwärtigem Raggacore zu assoziieren, ist wirklich stulle.

  5. Nicht der Harry, aber sein Hirsch Says:

    Ich finde Mr. Hartmann setzt damit nur seine Liste der dümmsten und überflüssigen Artikel fort, in denen er schon mehrfach bewiesen hat, dass er von Breakcore und Co nur mal bei Omma am Kaffeetisch was aufgegriffen hat. Kennen oder verstanden tut/hat er dabei relativ wenig.

    Ich gehe davon aus, dass die wenigsten Jungle-World-Leserinnen schonmal von Breakcore gehört haben, sodass Hartmanns Theorie aufgeht, etwas ganz heisses und nur von einer handvoll Menschen bekanntes zu berichten.

    H-mann hat auch nichts mit der Party in der K9 zu tun. Es ist nur Zufall, dass es eine JW Soli ist und dieser lustige Kasper dafür schreibt. Wenn er denn auftaucht, wovon auszugehen ist, wird er bestimmt ziemlich schnell von den anstrengenden Krachkaskaden überfordert sein und das Weite suchen.

  6. scrupeda Says:

    Ich habe A.H. auch nicht unterstellt, den möglichen Bezug verstanden zu haben – nichtsdesotrotz gibt es einen (“Ich glaube trotzdem nicht, dass der werte Schreiberling selbst irgendwas davon mitbekommen hat.”).

  7. scrupeda Says:

    Vielleicht mache ich mir das Hartmann-Fisking auch zur Gewohnheit. Es gibt ja eigentlich jede Woche mindestens einen neuen Grund. Und auch die Sachen, die er nicht selber schreibt, sondern nur durchwinkt, sind teilweise wirklich schrecklich (man erinnere sich nur mal an Nadja Geer). Es geht mir auch gar nicht so sehr um die Frage, ob er nun was von Breakcore versteht oder nicht, sondern viel mehr um seine grundsätzliche Herangehensweise an “Kultur”.

  8. versus one Says:

    eine frage hätte ich allerdings; mir ist schleierhaft, was es an breakcore zu verstehen, bzw. nicht zu verstehen geben sollte.
    meiner meinung ist das musik, diese bedient sich der gleichen mechanismen der vermarktung wie jedes andere genre auch.
    das riot sounds in deutschland noch keine riots produziert haben, dürfte nicht neu sein, darüber bin ich allerdings auch ganz froh.

  9. scrupeda Says:

    “Verstehen” ist vielleicht nicht ganz das richtige Wort, was ich meinte war eher, dass er eben von BC schreibt, als ob er den völligen Überblick über dieses Genre hätte, was einfach nicht sein kann. Vielmehr hat es den Anschein, dass ihm mehr als fünf Minuten BC schon zuviel sind. Andererseits bedienen sich verschiedene Musikgenres eben verschiedener Ästhetiken, und an der Stelle kann man schon davon sprechen, dass Musik verstanden wird oder nicht. Ich halte das Gerede von der Universalität von Musik zumindest teilweise für Mist.

    Vermarktung ist klar, möglichst keine Riots in D auch, aber wie kommst du da gerade drauf?

  10. versus one Says:

    naja, wenn ich mich richtig erinnere war das ein statement von alec empire: riot sounds produce riots.
    da ich jetzt mal ganz frech behaupten würde, dass mr. empire eine gewisse rolle bei der enstehung dieses genres hatte und ich mir damals auch das revolutionäre moment herbeigesehnt habe, fand ich dieses genre von beginn sehr interessant.
    “verstehen” hab ich in dem fall mit der bloßen kenntnis des spruchs von empire gleichgesetzt und, dass ich in dem sinne froh bin, dass ich diese musik nicht verstanden habe und es auch sehr eklig finden würde, etwas anderes als meinen individuellen geschmack, repräsentiert in dem genre, wiederfinden würde.
    also: lieber musik falsch verstehen, als dem pseudolinken pathos von revolutionären elemeten und dahingerotzter schlampigkeit nachrennen.

    bitte meine comments nicht falsch versteh, denn die kritik am hartmann artikel ist berechtigt, es ging mir nur um diesen punkt.

  11. bulboes Says:

    kleinkariertes gequatsche – ärgerliches checker-tum – spekulatives denunzieren – jajaja, wer hat die deutungs-hoheit? hardcore, you don’t know the score?! als dürfte der mensch ein wort wie breakcore nur dann benutzen, wenn er sich auch im letzten jahr die topcheckerbunnyaktuellen 12inches gekauft hat – deine/eure elitäre haltung kotzt mich an!

    wenn du mal den verlinkten interview gelesen (und ein paar alte public enemy-alben gehört) hättest, müsstest du nicht fragen, was pe mit lärm (NOISE) zu tun haben – das beantwortet dir kevin! BRING THE NOISE! schon mal gehört?! und: das bringt’s nicht ist eine redewendung, die vielleicht noch nicht bis in dein pro-seminar gedrungen ist – das bedeutet aber nicht, dass sie für andere unverständliche wäre…

    weiter geht’s: dieses gebashe – “echte Kerle” – was soll das? wo ist da von kerlen die rede? wo lauert da schon wieder der macker? oder geheimnist du dir den jetzt zwischen die zeilen?

    dann: “Vergleiche und Referenzen” Jungle, Raggacore, Dubstep, Londoner Piratenradios und Rave” – nochmals: hast du das interview mit KM gelesen?! ich glaube nicht! damit hat das nun wirklich alles nichts zu tun! du kontextualisierst aus deinem elfenbeintürmchen etwas, was hartmanns zugegeben unglücklichem punk-vergleich in haltlosigkeit in nichts nachsteht- da ist wohl der wunsch mutter des gedankens gewesen, was?!

    kurz: deine entgegenung ist auch nicht besser als der text von AH.

    das sei nur mal angemerkt, damit euch vor lauter selbstverliebten schulterklopfen der kopf nicht allzu sehr anschwillt.

    empfehlungen

    b

  12. scrupeda » Ich dachte, das Sommerloch kommt erst noch Says:

    […] P.P.S. Das ganze fing mit diesem Posting an: Andreas Hartmann is killing sound. […]